Klarheit und Offenheit in der persönlichen Begegnung: Spiritual Care

Annedore Methfessel ist Pfarrerin für Seelsorge, Beratung und Supervision im Evangelischen Kirchenkreis Hattingen-Witten und bietet dort im Rahmen der pastoralpsychologischen Weiterbildung Kurse zu Spiritual Care an. Für Lebenszeiten  fragte ich die Wuppertalerin, welche Rolle Spiritualität in der Sterbebegleitung spielt.

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Ihr Angebot Spiritual Care ist in der evangelischen Kirche angesiedelt. Was unterscheidet „Spiritual Care“ von der klassischen pastoralen Seelsorge?

Unter „klassischer pastoraler Seelsorge“ verstehen Sie vermutlich, dass erstens die Seelsorge ein Arbeitsfeld der Pastor/innen ist, also von Hauptamtlichen geleistet wird, und dass zweitens die „pastoralen Begleiter/innen“ und die von ihnen Begleiteten der gleichen konfessionellen Bindung oder Kirche angehören. Demgegenüber ist Spiritual Care ein Begriff, der weiter über engere konfessionelle Bindungen hinaus denkt.

Wie gelingt es mit Spiritual Care, Menschen jenseits von Glaubensgrenzen zu erreichen? Inwiefern unterstützt Spiritual Care Menschen in ihrer letzten Lebensphase?

Durch die Hospizbewegung, durch Trauerarbeit und Palliative Care ist die Bedeutung von Spiritualität überhaupt in den Blick gekommen. Es ist also erkannt worden, dass Fragen der Spiritualität nicht einfach nur etwas „Persönliches und Privates“ sind, sondern dass die Beachtung, Bedeutung und Einbeziehung, bzw. das Eingehen auf Spiritualität ein wesentlicher Beitrag sein kann für die leibliche und seelische Stärkung und Aufrichtung schwerkranker und sterbender Patient/innen.

Nach meiner persönlichen Erfahrung ist und wird diese Offenheit Ausbildungskandidat/innen in der Pastoralpsychologischen Weiterbildung in Seelsorge/KSA mit dem Thema „Spiritual Care“ bewusst. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass in ökumenischer Weite die eigene konfessionelle Bindung, das Verständnis der eigenen kirchlichen Zugehörigkeit sowie die religiöse Herkunftstradition gestärkt werden. Diese Weiterbildung führt in aller Regel zur Bewusstwerdung eigener konfessioneller und religiöser Klarheit und dient zugleich der offenen Begegnung gegenüber spirituell anders verorteten Menschen.

Das Ziel ist also das gleiche wie in der von Ihnen vorausgesetzten „klassischen pastoralen Seelsorge“, nämlich Klarheit und Offenheit in der persönlichen Begegnung.

Welche Art von Halt oder Orientierung wünschen sich Menschen mit einer lebensbedrohlichen Krankheit?

Menschen in einer lebensbedrohlichen Krankheitssituation wünschen sich natürlich Halt und Unterstützung, um möglichst angstfrei mit dieser Situation umgehen zu können. Spirituelle Bedürfnisse, die die Menschen in der Regel bereits mitbringen, weil diese abhängig sind von den bisherigen Lebenserfahrungen, können so in der Begleitung aufgenommen und verstärkt werden.

Die spirituelle Seelsorgerin und der kranke Mensch bringen ihre eigene Lebensgeschichte mit und Spirtual Care lässt sich als der Versuch beschreiben, aus den Lebensgeschichten heraus gemeinsame Anknüpfungspunkte zu finden. Wie könnte das aussehen?

Wenn einem Menschen Religion etwas bedeutet, würde ich ihm beispielsweise anbieten, mit ihm gemeinsam zu beten. Vielleicht liegen einem Begleiter ein besonderes Segenswort, ein Bibelzitat oder Verse aus einem Gedicht am Herzen. Dann könnte er dies sagen und schauen, wie sein Gegenüber reagiert. Kleine Gesten wie ein Kreuzzeichen oder das Entzünden einer Kerze vor einem Objekt, das dem kranken Menschen wichtig ist, werden in der letzten Lebensphase mitunter als tröstlich empfunden. Entscheidend ist, dass wir bei der Begleitung behutsam und aufmerksam vorgehen. Niemandem sollte etwas aufgedrängt werden, was ihm möglicherweise sogar Unbehagen bereitet.

Und wenn das Gegenüber keinen Bezug zu Religion hat oder diese sogar ablehnt?

Soweit das noch möglich ist, könnte die Begleiterin versuchen, einen Bezug zur Jahreszeit herzustellen, einen blühenden Zweig im Frühling ans Krankenbett stellen oder in der Advents- und Weihnachtszeit ein wenig duftendes Tannengrün. Das hilft möglicherweise dabei, sich im Jahreslauf aufgehoben zu fühlen. Kann der Kranke nicht mehr essen und bekommt starke Schmerz- und Beruhigungsmittel, lohnt es sich, die noch offenen Sinne anzusprechen, vor allem den Geruchssinn. So kann es beispielsweise wohltuend sein, wenn die Hände oder die Stirn mit einem duftenden Öl eingerieben werden.